Die Erdölverarbeitung liefert sowohl Synthetiköle als auch Mineralöle. Während die Moleküle von Mineralölen natürliche Bestandteile des Rohstoffes sind, entstehen synthetische Öle durch künstlich herbeigeführte chemische Reaktionen. Hier erfahren Sie, wie die Herstellung von synthetischen Ölen funktioniert, was sie von konventionellen Schmierstoffen unterscheidet und welche Einsatzgebiete in der Oberflächentechnik und der Oberflächenbehandlung infrage kommen.
Vom Erdöl zum Schmiermittel
Erdöl ist ein komplexes Gemisch aus diversen Kohlenwasserstoffen und Verunreinigungen. Um die wertvollen Bestandteile nutzen zu können und daraus unter anderem die Grundöle für Kühlschmierstoffe und Umformschmierstoffe sowie Ausgangsstoffe für die Herstellung von Synthetikölen zu gewinnen, müssen die Inhaltsstoffe voneinander getrennt werden. Viele Komponenten ähneln sich in ihren physikalischen Eigenschaften sehr stark. Da die Verfahren der Stofftrennung hauptsächlich auf den Unterschieden dieser Eigenschaften beruhen, bedarf es mehrerer Prozessstufen, um die Substanzen einzeln oder wenigstens in Gruppen zu gewinnen.

Atmosphärische Destillation – erster Schritt zur Herstellung von synthetischem Öl
Am Anfang der Erdölverarbeitung steht die atmosphärische Destillation, bei der eine grobe Vorsortierung der Rohölbestandteile stattfindet. Der Prozess läuft in einer Kolonne ab. In diesem zylindrischen Apparat strömen verdampfte Erdölkomponenten senkrecht nach oben und stehen dabei in Kontakt mit von oben herabrieselnder Flüssigkeit aus kondensiertem Dampf. Am oberen Ende und seitlich in unterschiedlichen Höhen werden die voneinander getrennten Stoffgemische (Fraktionen) abgezapft. Ganz unten sammelt sich ein Rückstand, der unter anderem Grundöle für mineralische Schmierstoffe und wichtige Ausgangsstoffe für die Synthetik-Öl-Herstellung enthält.
Bei der atmosphärischen Destillation werden die verschiedenen Kohlenwasserstoffe nach ihren Siedepunkten getrennt. Leichtere Fraktionen wie Benzin und Naphtha steigen bis in die oberen Bereiche der Kolonne, während schwerere Bestandteile weiter unten abgezogen werden. Das Verfahren bildet die Grundlage für alle weiteren Veredelungsschritte, die zur Herstellung synthetischer Öle erforderlich sind.

Vakuumdestillation des Rückstandes
Der Rückstand aus der atmosphärischen Destillation würde sich bei normalem Luftdruck durch die Hitzeeinwirkung zersetzen, bevor er die Siedetemperatur erreicht. Deshalb erfolgt dessen weitere Aufbereitung im Vakuum. Bei Unterdruck reicht eine niedrigere Temperatur zum Verdampfen aus, was die empfindlichen Moleküle schont. Die Vakuumdestillation liefert verschiedene Grundöle für Mineralöl mit unterschiedlichem Fließverhalten, die allerdings noch verunreinigt sind. Nach den erforderlichen Reinigungsprozessen, die auch als Raffinationsverfahren bezeichnet werden, stehen konventionelle Öle bereit, aus denen durch den Zusatz von Additiven Schmierstoffe werden.
Zusammensetzung von Mineralöl
Mineralöle setzen sich aus den Molekülen zusammen, die zufällig im Erdöl enthalten sind. Die natürlichen Bestandteile des Erdöls unterscheiden sich von Lagerstätte zu Lagerstätte. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften eines Öls hängen von der Größe und der Struktur seiner Moleküle ab. Es gibt kettenförmige, verzweigte und ringförmige Kohlenwasserstoffe. Eine besondere Stoffgruppe bilden die Aromaten. Der einfachste Vertreter dieser Stoffgruppe ist das Benzol, das aus sechs ringförmig angeordneten Kohlenstoffatomen besteht, die je ein Wasserstoffatom festhalten.

Gesättigte Kohlenwasserstoffe
Kohlenwasserstoffe sind entweder gesättigt oder ungesättigt. Gesättigt bedeutet, dass jedes der vier Bindungsärmchen des Kohlenstoffatoms ein anderes Atom festhält. Derartige chemische Verbindungen zeichnen sich durch eine hohe Stabilität aus – sie sind reaktionsträge und alterungsbeständig. Konventionelles Mineralöl besteht zum größten Teil aus gesättigten Kohlenwasserstoffen. Je größer die Moleküle sind, desto dickflüssiger ist das Öl.
Ungesättigte Kohlenwasserstoffe als Basis für Synthetiköle
Sind zu wenige andere Atome vorhanden, greifen die freien Bindungsärmchen der Kohlenstoffatome nach einem benachbarten Kohlenstoffatom und bilden mit ihm eine Doppel- oder Dreifachbindung. Solche Stoffe sind reaktionsfreudig und bilden deshalb die ideale Grundlage für die Herstellung von Synthetikölen. Die Mehrfachbindungen lösen sich leicht, wenn sich geeignete Moleküle als Reaktionspartner anbieten. Auf diesem Weg entstehen aus ungesättigten Kohlenwasserstoffen verschiedene synthetische Öle mit maßgeschneiderten Eigenschaften.

Cracken – ungesättigte Kohlenwasserstoffe für die Synthetik-Öl-Herstellung erzeugen
Um die molekularen Bausteine für die Herstellung von synthetischen Ölen zu gewinnen, werden die langkettigen Moleküle in kurze Abschnitte zerbrochen. Die unterschiedlichen Verfahren für diese Prozesse sind unter dem Begriff Cracken zusammengefasst. Beim thermischen Cracken spalten sich die Moleküle aus dem Rückstand der Vakuumdestillation unter Einwirkung von hohen Temperaturen und hohem Druck auf. An den Bruchstellen fehlen Wasserstoffatome, weshalb sich hauptsächlich Gemische aus ungesättigten Kohlenwasserstoffen bilden.
Erfolgt der Prozess unter Anwesenheit von Wasserstoff, handelt es sich um das Verfahren Hydrocracken. An die ungesättigten Bruchstücke lagern sich dabei schnell Wasserstoffatome an. Es entstehen Gemische aus gesättigten Hydrocrackölen, die im Vergleich zu konventionellen Mineralölen einen deutlich verbesserten Viskositätsindex aufweisen.
Wendet man katalytische Crackverfahren an, erhält man bei etwas niedrigeren Temperaturen und Drücken ganz gezielt spezielle Bausteine für synthetische Öle. Als Ausgangstoff dient hierbei meist das in der atmosphärischen Destillation gewonnene Rohbenzin. Verunreinigungen, die im Rückstand der Vakuumdestillation enthalten sein können, würden die Wirkung des Katalysators beeinträchtigen. Katalysatoren lenken chemische Reaktionen in eine bestimmte Richtung, ohne selbst dauerhafte chemische Verbindungen einzugehen. Sie bleiben während des Prozesses in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten.

Stofftrennung und Synthese
Die beim Cracken gewonnenen Stoffe werden teils in mehrstufigen Verfahren voneinander getrennt. Anschließend veranlasst man kleinere Moleküle ungesättigter Kohlenwasserstoffe, sich miteinander zu verbinden. Diese Art chemischer Reaktionen wird als Synthese bezeichnet – und genau hier liegt der Ursprung des Begriffs Synthetiköl. Um Schmierstoffe aus synthetischen Ölen mit maßgeschneiderten Eigenschaften für die unterschiedlichen Einsatzzwecke in der Oberflächentechnik und der Oberflächenbehandlung herzustellen, sind oft mehrere aufeinanderfolgende Reaktionen erforderlich. Viele synthetische Grundöle werden daher Schritt für Schritt zusammengebaut.
Einsatzgebiete von Synthetikölen in der Industrie
Die konventionellen mineralischen Grundöle werden durch die Zugabe von Additiven an die Bedingungen angepasst, die die Oberflächentechnik und die Oberflächenbehandlung an unterschiedliche Schmiermittel stellen. Wassermischbare Kühlschmierstoffe benötigen beispielsweise Emulgatoren, die eine gleichmäßige Verteilung des Öls im Wasser bewirken. Umformschmiermittel brauchen Viskositätsindex-Verbesserer, die die Fließfähigkeit bei schwankenden Temperaturen im erforderlichen Bereich halten, oder Zusätze, die den Schmierstoff für extrem hohe Drücke und Temperaturen tauglich machen. Im Unterschied dazu können Synthetiköle so konzipiert werden, dass sie ihren Aufgaben ohne Zusätze oder mit sehr wenig Additiven gerecht werden.
Kühlschmiermittel
Auf der Grundlage von Synthetiköl lassen sich wasserlösliche Kühlschmierstoffe für Zerspanungsprozesse mit hohen Bearbeitungsgeschwindigkeiten herstellen. Bei schweren, langsamen Zerspanungsprozessen und Umformungen, die mit nichtwassermischbaren Kühlschmierstoffen arbeiten, weisen Schmierstoffe auf Basis von synthetischem Öl einen niedrigeren Verdampfungsverlust und einen höheren Flammpunkt als Mineralölprodukte auf. Darüber hinaus sind synthetische Öle weniger gesundheitsschädlich, da sie einen geringeren Anteil an kritischen Aromaten enthalten.
Umformschmiermittel
Umformschmierstoffe für die Kaltumformung benötigen einen besonders hohen Viskositätsindex, weil sich die Temperatur während des Prozesses stark erhöht. Bestimmte Synthetiköle wie PAO (Polyalphaolefine) und PIO (Polyinternalolefine) besitzen diese Eigenschaft von Natur aus. Auf der Grundlage von synthetischem Öl lassen sich außerdem extrem temperaturbeständige Schmierstoffe für die Warmumformung herstellen.
Weitere Einsatzgebiete
Synthetische Öle dienen häufig als Basis für Schmierstoffe in der Lebensmittelindustrie, in Motoren, Getrieben und Kältemaschinen sowie in Anwendungen, bei denen erhöhte Anforderungen an die Umweltverträglichkeit, die Alterungsbeständigkeit oder die Beständigkeit gegen Feuer bestehen. Darüber hinaus vertragen sich bestimmte Synthetiköle sehr gut mit Kunststoffen wie Dichtungen, die von Mineralölen angegriffen werden. Durch ihre gezielt gesteuerte Herstellung bieten synthetische Öle in vielen industriellen Anwendungen Vorteile gegenüber konventionellen Schmierstoffen.
Kluthe Magazin

