Um wirksame Mittel für die Verringerung von reibungsbedingten Verlusten an Material und Energie zu finden, braucht man einen genauen Einblick in die Mechanismen, die der Reibung und dem Verschleiß zugrunde liegen. In diesem Zusammenhang entstand der Begriff “Tribosystem”. Der Wortteil “Tribo” geht auf das griechische Wort für “Reiben” zurück. Tribosysteme umfassen alle Materialien, die Reibung und Verschleiß beeinflussen. Wie sie helfen, bei der Erforschung der Vorgänge die Orientierung zu behalten, und welche Rolle die Oberflächentechnik und die Chemie dabei spielen, erfahren Sie hier.
Aufbau der Tribosysteme
Wie viel Energie durch Reibung verbraucht und wie viel Material durch Verschleiß abgetragen wird, hängt von den Wechselwirkungen zwischen den beteiligten Stoffe und den Bedingungen, unter denen die Bewegung stattfindet, ab. Ändert sich eine einzelne Komponente, reagieren alle anderen in irgendeiner Weise darauf. Deshalb bilden die Komponenten ein System. Ein Tribosystem besteht aus:
- Grundkörper
- Gegenkörper
- Zwischenmedium
- Umgebungsmedium
Grundkörper und Gegenkörper bewegen sich relativ zueinander. Das bedeutet, es kann einer davon in Bewegung sein oder beide. Die Bewegung dient entweder dem Transport von Gegenständen oder der Übertragung von mechanischer Energie. Das funktioniert nur, wenn ein direkter oder indirekter Kontakt zwischen den Körpern besteht. Ein direkter Kontakt kann allerdings nur punktuell vorliegen, weil die Oberflächen fester Körper mehr oder weniger rau sind. Stark vergrößert ergibt sich an der Berührungsstelle ein Bild, das entfernt an zwei aufeinanderliegende Feilen erinnert. Im Unterschied zu den Feilen sind die Erhöhungen und Vertiefungen an den Oberflächen von Körpern meistens so unregelmäßig wie in einer Gebirgslandschaft. Zur Oberflächentechnik gehörende Verfahren, wie Schleifen und Polieren, können das Rauheitsprofil optimal einstellen.
Als Zwischenmedium dient ein Schmiermittel. Es soll die Oberflächen von Grund- und Gegenkörper getrennt halten. Diese Aufgabe erfüllt das Schmiermittel optimal, wenn es einen Film bildet, der sämtliche Unebenheiten der Oberflächen komplett ausfüllt. Das gelingt allerdings nur im Idealfall. In der Praxis wird sich oft eine Mischreibung einstellen, bei der sich die obersten Spitzen der Rauheitsprofile berühren.
Beanspruchung der Komponenten im Tribosystem
Beanspruchungen von Grund- und Gegenkörper
Im Tribosystem wirkt immer eine Kraft, die Grund- und Gegenkörper aneinander drückt. Dagegen muss die Kraft ankämpfen, die die Bewegung bewirkt. Letzterer stellen sich zwei Widerstände entgegen: ineinandergreifende Erhöhungen der Oberflächenprofile und Anziehungskräfte zwischen den Teilchen der beteiligten Körper. Welcher Widerstand überwiegt, hängt von den Oberflächenprofilen und den Werkstoffeigenschaften ab. Diese Faktoren sind auch dafür verantwortlich, ob und wie viel Material sich von welchem Körper ablöst und was damit passiert. Die abgetragenen Materialteilchen bleiben entweder lose zurück oder sie setzen sich auf dem härteren Werkstoff fest. Mit den unterschiedlichen Verfahren der Oberflächentechnik und Oberflächenvorbehandlung lassen sich die wirkenden Faktoren, wie im Tribosystem beschrieben, beeinflussen. Einerseits kann sie ein optimales Oberflächenprofil herstellen. Andererseits kann sie durch geeignete Beschichtungen die Werkstoffeigenschaften an der Oberfläche gezielt einstellen.
Beanspruchungen des Zwischenstoffes
Im direkten Kontakt hat das Zwischenmedium (der Schmierstoff) die gleiche Geschwindigkeit, wie der Körper, den es berührt. Deshalb bildet sich im Schmierfilm ein Geschwindigkeitsgefälle aus. Ist die Dicke des Schmierfilms optimal, muss die Bewegungskraft nur den Widerstand innerhalb des Schmierfilms überwinden. Dieser ist umso größer, je höher die Zähigkeit des Schmiermittels ist. Ist die Zähigkeit allerdings zu gering, reißt der Schmierfilm auseinander. Dann berühren sich die Oberflächen von Grund- und Gegenkörper stellenweise direkt, was der Schmierfilm ja verhindern soll. Die chemische Industrie stellt die Schmierstoffe bereit. Die Verfahren der Chemie ermöglichen dank dem Tribosystem die Herstellung optimierter Zwischenmedien für die unterschiedlichen Einsatzbereiche.
Beanspruchungen durch das Umgebungsmedium
Überall dort, wo das Umgebungsmedium Zutritt hat, kann es chemische Reaktionen bewirken. Die Schwerpunkte liegen hierbei auf der Reaktionsfreudigkeit des Luftsauerstoffs und Feuchtigkeit sowie Verschmutzungen in der Luft. Geschlossene Tribosysteme, wie beispielsweise Getriebe, verwehren dem Umgebungsmedium den Zugang komplett. Im offenen Tribosystem müssen die Chemie und die Oberflächentechnik dafür sorgen, dass Schmiermittel und Werkstoffe geschützt bleiben.
Rolle der Betriebsbedingungen
Wie sich die unterschiedlichen Beanspruchungen auf Tribosysteme im Einzelnen auswirken, ist auch von den Betriebsbedingungen abhängig. Entscheidend sind hierbei vor allem die Bewegungsgeschwindigkeit und die Temperatur. Die Reaktion der Komponenten hängt davon ab, wie hoch die Geschwindigkeit ist, ob sie sich häufig oder selten ändert und wie abrupt bzw. gleichmäßig die Veränderungen erfolgen. Die von Reibung und Verschleiß verbrauchte Energie wandelt sich in Wärme um. Mit der dadurch bewirkten Temperaturänderung ändern sich die Materialeigenschaften der beteiligten Komponenten und die Reaktionsfreudigkeit des Umgebungsmediums. Daraus ergibt sich für die Oberflächentechnik und die Chemie ein breites Spektrum an kniffeligen Aufgaben.
Kaltmassivumformung als Beispiel für ein Tribosystem
Bei der Kaltmassivumformung wird ein Rohteil von einem Stempel gegen eine Matrize gedrückt. Die aufgewendete Kraft muss so groß sein, dass die Fließgrenze im Material erreicht wird. Dadurch wird es gezwungen, in den Raum zwischen den beiden Werkzeugen hineinzufließen und die vorgesehene Form anzunehmen. Das Verfahren wird auch als Fließpressen bezeichnet. In diesem Tribosystem stellen die Werkzeuge – Matrize und Stempel – den Grundkörper dar. Der Gegenkörper ist das Werkstück. Als Zwischenstoff liefert die chemische Industrie unterschiedliche Umformschmierstoffe. Das Umgebungsmedium ist die Luft. Beim Fließpressen sind der Gegenkörper und das Umgebungsmedium vorgeben. Optimierungspotential besteht deshalb hauptsächlich für den Grundkörper und den Zwischenstoff. Ziel ist es, die Standzeiten der Werkzeuge unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu maximieren.
Belastungen beim Kaltmassivumformen
Die Belastungen bei der Kaltmassivumformung sind vor allem durch die erforderliche Presskraft und die Temperatursteigerung infolge der inneren Reibung bei der Verformung des Werkstücks gekennzeichnet. Das Material der Werkzeuge muss bei Betriebstemperatur den Kräften standhalten, ohne sich selbst zu verformen. Der Umformschmierstoff muss unter diesen Bedingungen einen stabilen Schmierfilm bilden und darf weder mit den Werkstoffen noch mit der Umgebungsluft chemisch reagieren. Oberflächentechnik und Chemie leisten einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen des Verfahrens.
Einflussmöglichkeiten der Oberflächentechnik auf das Tribosystem
Die hohe mechanische Beanspruchung der Werkzeuge führt zu einem Optimierungsproblem, das zwei gegensätzliche Faktoren berücksichtigen muss: Härte und Festigkeit. Die Werkstoffe werden durch ihre Härte und ihre Festigkeit charakterisiert. Eine hohe Härte schützt die Oberfläche vor Kratzern und bewirkt demzufolge eine hohe Verschleißfestigkeit. Harte Werkstoffe sind allerdings spröde und neigen, besonders unter wechselnden Beanspruchungen zum Bruch. Eine hohe Festigkeit der Werkstoffe schützt vor bleibenden Verformungen. Die daraus bestehenden Werkzeuge gleichen die Belastung durch geringfügige Dehnungen bzw. Stauchungen aus, die sich nach dem Wegfall der Last wieder zurückbilden. Das gelingt ihnen, weil sie nicht besonders hart sind. Die Oberflächentechnik löst das Problem durch verschleißfeste Beschichtungen auf hochfesten Werkstoffen.
Einflussmöglichkeiten der Chemie auf das Tribosystem
Die chemische Industrie hat die Aufgabe, Umformschmierstoffe zu entwickeln, die den thermischen und mechanischen Belastungen standhalten. Das bedeutet vor allem, dass die Zähigkeit bei großen Druck- und Temperatursteigerungen einigermaßen konstant bleibt. Außerdem sollen sie stabil gegen Oxidation und thermische Zersetzung sein und eine geringe Verdampfungsneigung aufweisen. Perfekt ist es, wenn sie außerdem umweltverträglich und leicht wieder vom Werkstück zu entfernen sind. Die Chemie löst das Problem, indem sie geeignete Grundöle zusammenstellt und die Mischung mit Additiven zur Einstellung der benötigten Eigenschaften versetzt.