Wasser perlt an vielen Oberflächen ab. Nach einem Regenguss sind noch lange Zeit kleine Tropfen auf Fensterscheiben zu sehen. Dünne Wasserfilme ziehen sich zu Tröpfchen zusammen. Alles das sind Auswirkungen der Oberflächenspannung, die immer dann stören, wenn Gegenstände gleichmäßig benetzt werden sollen. In der Oberflächentechnik ist das bei der Reinigung oder der Beschichtung von Werkstücken der Fall. Die Chemie schafft Abhilfe, indem sie Netzmittel als Zusatzchemie bereitstellt. Wie ihnen das gelingt, erfahren Sie in diesem Betrag.
Was verursacht die Oberflächenspannung?
Wasser besteht aus Molekülen, in denen ein Sauerstoffatom zwei Wasserstoffatome festhält. Die Mittelpunkte der Atome bilden ein Dreieck. Weil sich die Elektronen aus den Atomhüllen des Wasserstoffs zum Sauerstoff hingezogen fühlen, bilden sich in den Molekülen eine elektrisch positiv geladene und eine elektrisch negativ geladene Seite aus. Gegengesetzte Ladungen ziehen sich an. Deshalb halten die Wassermoleküle einen engen Kontakt zueinander.
An der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft, Öl oder einem festen Stoff fehlen den Wassermolekülen auf der äußeren Seite die Nachbarn. Im Inneren wirken die Anziehungskräfte. Dadurch ordnen sich die Wassermoleküle an der Oberfläche zu einem Film an. Kleine Wassermengen bilden dann Tröpfchen. In der Luft oder in einer wasserabweisenden Flüssigkeit sind die Tropfen kugelrund. Wie weit sie sich auf festen Stoffen ausbreiten hängt von der Beschaffenheit der jeweiligen Oberfläche ab. Sollen die Tropfen zu einer gleichmäßigen Schicht verlaufen, muss die Chemie Substanzen liefern, die die Anziehungskräfte außer Gefecht setzen. Diese Stoffe heißen Netzmittel.
Wie wirken Netzmittel?
Die Chemie hat Stoffe entwickelt, deren Moleküle aus einem elektrisch geladenen und einem elektrisch neutralen Teil bestehen. Der erste Teil ist wasseranziehend (hydrophil), der zweite ist wasserabweisend (hydrophob). Der wasseranziehende Teil ersetzt auf der Außenseite die Nachbarmoleküle der Flüssigkeit. Der wasserabweisende Teil nimmt Kontakt zur Umgebung auf. Die Moleküle des Netzmittels verdrängen den Film, der die Tröpfchen zusammenhält. Die ersten Stoffe, die diese Aufgabe erfüllten, waren einfache Seifen. Sie entstehen, wenn sich Fette und Laugen miteinander vermischen. Fetthaltige Abfälle bilden mit Natronlauge Moleküle, die auf der Fettseite wasserabweisend sind. Dort, wo sich das Natriumatom aus der Lauge an das Molekül angelagert hat, sind die Moleküle wasseranziehend.
Inzwischen hat die Chemie eine große Zahl von Stoffen entwickelt, die sich wie Seife verhalten und als Tenside bezeichnet werden. Wie schnell die Moleküle im Netzmittel den Film auf einer Wasseroberfläche verdrängen, können Sie bei einem einfachen Versuch beobachten. Sie brauchen einen Teller oder eine Schüssel mit Wasser. Auf die Oberfläche streuen Sie Pfeffer. Er zeigt an, wo die Grenzflächenspannung vorhanden ist. Benetzen Sie eine Fingerspitze mit ganz wenig Spülmittel. Schauen Sie, was mit dem Pfeffer passiert, wenn Sie mit der Fingerspitze auf die Wasseroberfläche tippen.
Wo werden Netzmittel in der Industrie verwendet?
Einsatz als Zusatzchemie in der Oberflächentechnik
Die Oberflächentechnik nutzt Netzmittelprodukte als Zusatzstoffe für wässrige Prozessflüssigkeiten. Hauptanwendungsgebiete sind die Oberflächenvorbehandlung, die Galvanik, die elektrolytische Oxidation und die Tauchlackierung.
Die Tensidmoleküle sorgen dafür, dass die Chemikalien an alle Oberflächenbereiche gelangen und gleichmäßig zur Wirkung kommen.
Der Anteil der Netzmittel in der Flüssigkeit ist sehr gering. Er liegt oft weit unter einem Prozent.
Einsatz für die Teilereinigung
In höherer Konzentration wirken Tenside als Reinigungsmittel. Sie sind Lösungsvermittler für ölige und fettige Verschmutzungen. Im Reinigungsbad umschließen die die Schmutzteilchen und ermöglichen, dass diese von den Oberflächen abgespült und vom Wasser fortgetragen werden können.
Damit die Chemie im Reinigungsbad “stimmt”, sind die von den Herstellern vorgegeben Konzentrationen sorgfältig einzuhalten. Ein Zuviel führt zu übermäßiger Schaumbildung, ein Zuwenig liefert unbefriedigende Reinigungsergebnisse. Reiniger können nur eine bestimmte Menge Schmutz binden, danach werden sie inaktiv. Deshalb sind die Überwachung der Konzentration und bei Bedarf die Nachdosierung erforderlich.
Einsatz als Emulgator für Kühlschmierstoffe
So, wie Netzmittel den Schmutz im Wasser festhalten können, sind sie auch in der Lage, Öltröpfchen darin fein zu verteilen. Diese Fähigkeit wird in der Metallbearbeitung genutzt, bei der wassergemischte Kühlschmierstoffe für die Verringerung der Reibung und zur Abfuhr von Wärme zum Einsatz kommen.
Weitere Einsatzgebiete von Netzmitteln
Gartenbau
Für den Gartenbau stellt die Chemie biologisch abbaubare Netzmittel zur Verfügung. Trockene Erde und Substanzen zur Bodenverbesserung sind wasserabweisend. Werden Düngemittel oder Substrate mit geeigneten Netzmittelprodukten versetzt, verringert sich die Oberflächenspannung des Gießwassers. Das Wasser kann dann ungehindert zu den Wurzeln sickern.
Pflanzenschutz
Die Blätter von Pflanzen sind von Natur aus wasserabweisend. Das hat den Vorteil, dass Regenwasser schnell abläuft und die Oberfläche trocknet. Am bekanntesten ist dieser Effekt beim Lotos. Damit Pflanzenschutzmittel auf den Blättern haften und ihre Wirkung entfalten können, enthalten diese Mittel Stoffe zur Verringerung der Oberflächenspannung.
Brandbekämpfung
Löschmaßnahmen der Feuerwehr beruhen meistens darauf, dass Wasser an den Brandherd gelangt, dort verdampft und der Verbrennung die Wärme entzieht. Wasserabweisende Stoffe wie Braunkohle, viele Textilien oder bestimmte Baustoffe lassen die Flüssigkeit ungenutzt abperlen und bilden im Inneren immer mehr Glut. Der Zusatz eines Netzmittels hilft dem Löschwasser, an die Glut vorzudringen. Eine entsprechende Armatur, der Zumischer, wird in die Schlauchleitung eingebaut. Das strömende Wasser erzeugt dort einen Unterdruck, durch den das Netzmittel angesaugt und im Wasser verteilt wird.
Auf dem gleichen Mechanismus beruht die Schaumerzeugung für Löscharbeiten.
Dabei wird ein höherer Netzmittelanteil angesaugt. Das nennt sich in diesem Fall Schaumbildner. In Schaumrohren am Ender er Löschwasserversorgung wird – ebenfalls durch Unterdruck – die benötigte Luft zugemischt.