« Was gilt als “sicheres Produkt”? »
Der Flammpunkt ist eines von mehreren Kriterien für die Beurteilung der Brand- und Explosionsgefahren, die von brennbaren Flüssigkeiten ausgehen. Um Lösemittel als “sicheres Produkt” zu betrachten, sind zusätzlich weitere Stoffeigenschaften und die vorgesehenen Einsatzbedingungen zu berücksichtigen. Die Flammpunkte von Lösemitteln hängen eng mit ihren Dampfdrücken und ihren Verdunstungszahlen zusammen. Außerdem werden zum Beispiel die Zündtemperaturen und die Explosionsgrenzen zur Einschätzung des Risikos hinzugezogen. Bei den Einsatzbedingungen sind unter anderem die Temperatur, der Verteilungsgrad und der Luftwechsel ausschlaggebend.
Flammpunkt von Lösemitteln
Lösemittel, in der Chemie meistens als Lösungsmittel bezeichnet, bilden mit den Stoffen, die sie auflösen können, homogene Gemische. In homogenen Flüssigkeiten sind alle Bestandteile gleichmäßig verteilt. Die Bestandteile gehen mit den Lösungsmitteln aber keine chemischen Verbindungen ein. Das wird ausgenutzt, um
- chemische Reaktionen zwischen den aufgelösten Stoffen unter beherrschten Bedingungen herbeizuführen,
- Stoffe von anderen Stoffen abzutrennen (z.B. Wäsche, Reinigung) oder
- Stoffe in einen Zustand zu überführen, in dem sie sich verarbeiten lassen (z.B. Farben und Lacke).
Das wahrscheinlich einzige “sichere” Lösungsmittel ist Wasser. Wenn sich die benötigten Stoffe nicht im Wasser lösen lassen oder wenn Wasser mit diesen Stoffen chemisch reagiert, sind Alternativen erforderlich. Bei diesen Alternativen handelt es sich häufig um flüssige Kohlenwasserstoffe, die brennbar sind. Dann sind Vorkehrungen zur Brand- und Explosionsverhütung notwendig. Um wirtschaftlich vertretbare Maßnahmen ergreifen zu können, werden Kriterien für die Gefährlichkeit der einzelnen Stoffe festgelegt. Ein solches Kriterium ist der Flammpunkt von Lösemitteln.
Bildung zündfähiger Gemische über Lösemitteln
Feuchte Oberflächen werden im Laufe der Zeit trocken, weil Flüssigkeiten verdunsten. Die Dämpfe vermischen sich mit der Luft. Bei brennbaren Flüssigkeiten können sich solche Gemische entzünden. Dazu kommt es, wenn die Zusammensetzung des Gemisches innerhalb der Zündgrenzen liegt und eine wirksame Zündquelle anwesend ist. Es gibt eine obere und eine untere Zündgrenze. Ist die Konzentration des Dampfes in der Luft kleiner als die untere Zündgrenze, reicht seine Menge nicht für die Verbrennung aus. Ist die Dampfkonzentration größer als die obere Zündgrenze, gibt es zu wenig Luft. Die niedrigste Temperatur, bei der sich Gemisch aus Dampf und Luft über einer Flüssigkeit entzünden lässt, ist der Flammpunkt. Ist diese Grenze erreicht, ist der Dampfanteil über der Flüssigkeit gerade so hoch, dass er sich kurz entzünden lässt. Die Flamme verlöscht sehr schnell, weil die freigesetzte Wärme nicht ausreicht, genügend Dampf nachzuliefern.
Sicherheitstechnische Kennzahlen und physikalische Größen
Der Flammpunkt und die Zündgrenzen sind sicherheitstechnische Kennzahlen, die bei festgelegten Bedingungen in eigens dafür geschaffenen Versuchseinrichtungen ermittelt werden. Dadurch unterscheiden sie sich von physikalischen Größen, die unabhängig von den Versuchsbedingungen sind. Die sicherheitstechnischen Kennzahlen helfen, Rahmenbedingungen für die Gefahrenabwehr zu finden. Die physikalischen Größen geben Stoffeigenschaften wieder. Zu ihnen gehört zum Beispiel der Dampfdruck. Er ist dafür ausschlaggebend, wie viel Dämpfe von der Luft aufgenommen werden können. Der Dampfdruck einer Flüssigkeit ist nur von ihrer Temperatur abhängig, nicht aber von der Methode, mit der er bestimmt wurde. Um den Unterschied vereinfacht darzustellen: Mit physikalischen Größen kann man Berechnungen anstellen, mit sicherheitstechnischen Kennzahlen kann man Risiken einschätzen.
Einteilung brennbarer Flüssigkeiten nach der Gefahrstoffverordnung
Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) teilt brennbare Flüssigkeiten auf der Grundlage ihres Flammpunktes und ihres Siedepunktes in die Gruppen entzündlich, leicht entzündlich und hochentzündlich ein.
- Bei entzündlichen Flüssigkeiten liegt der Flammpunkt zwischen 21 °C und 55 °C
- Bei leichtentzündlichen Flüssigkeiten liegt er zwischen 0 °C und 21 °C
- Bei hochentzündlichen Flüssigkeiten ist er kleiner als 0 °C, und der Siedepunkt ist kleiner oder gleich 35 °C.
Auf diese Gruppierung beziehen sich die rechtlichen Vorschriften, die für den Umgang mit den betreffenden Stoffen gelten. Wenn ein Lösungsmittel in einen dieser Bereiche eingestuft ist, sind Maßnahmen zu treffen, die das Risiko von Explosionen so weit wie möglich verringern. Liegt der Flammpunkt von Lösemitteln über 55 °C hängt das Gefahrenpotential von der Einsatztemperatur ab. Treten im Betrieb höhere Temperaturen als der Flammpunkt auf, ist unabhängig von der Einstufung Explosionsschutz erforderlich. Bei normalen Temperaturen bleibt immer das Risiko von Bränden bestehen.
Lösemittelhaltige Gemische
Produkte im Lieferzustand
Die sicherheitstechnischen Kennzahlen und die physikalischen Größen sind für die meisten reinen Stoffe bekannt und in Tabellen aufgelistet. Im praktischen Betrieb sind reine Stoffe selten anzutreffen. Das gilt ganz besonders für Lösungsmittel, deren Zweck darin besteht, etwas aufzulösen. Und da das nicht der Endzweck ist, werden Lösungsmittel untereinander und mit anderen Hilfsstoffen gemischt. Diesen Gemischen liegen teils ausgefeilte Rezepturen zugrunde, die meistens Betriebsgeheimnisse sind. Die Hersteller geben in Sicherheitsdatenblättern Hinweise für den gefahrlosen Umgang mit ihren Produkten. Bestimmte Inhaltsstoffe sind deklarationspflichtig. Enthalten die Mittel leichtentzündliche, giftige oder anderweitig gefährliche Bestandteile, müssen diese ausdrücklich benannt werden. Die Mengenangaben sind dabei in der Regel nicht konkret. Sie beschränken sich auf den maximalen Gehalt in den Gemischen. Ähnlich verhält es sich mit den Angaben zu den Stoffeigenschaften der Mischungen. Zum Beispiel werden für die Flammpunkte von Gemischen, die lösemittelhaltig sind, Minimalwerte angegeben.
Produkte im Einsatz
Bei der Verwendung der Produkte verändern diese zwangsläufig ihre Eigenschaften, weil Fremdstoffe in die Mischung gelangen. Dabei verschiebt sich auch der Flammpunkt von Lösemitteln. Die Richtung kann sowohl nach oben als auch nach unten weisen. Das hängt mit der Löslichkeit der einzelnen Stoffe ineinander zusammen. Bei Flüssigkeiten, die vollständig ineinander löslich sind, sind Flammpunkte zu erwarten, die irgendwo zwischen denen der einzelnen Komponenten liegen. Ausnahmen bilden die sogenannten azeotropen Gemische. Dort stellt sich bei einem bestimmten Mischungsverhältnis ein maximaler oder minimaler Siedepunkt ein. Die Flammpunktverschiebung folgt dem Siedepunkt. Emulsionen, die aus nicht ineinander löslichen Flüssigkeiten bestehen, sieden immer wie eine azeotrope Mischung mit einem minimalen Siedepunkt. Das bedeutet, der Flammpunkt verringert sich. In der Praxis liegen häufig Mischungen vor, die sowohl aus löslichen als auch unlöslichen Komponenten bestehen. Dadurch verkomplizieren sich die Verhältnisse.
Verteilungsgrad brennbarer Flüssigkeiten
Die Betrachtungen zum Flammpunkt setzen voraus, dass sich die Flüssigkeit in einem Behälter befindet und nur an der Oberfläche Kontakt mit der Luft hat. Viele Techniken beruhen auf dem Versprühen von Lösemitteln oder Farben und Lacken, die lösemittelhaltig sind. Dabei verteilen sich kleine Tröpfchen im Luftstrom. In diesen Fällen bietet der Flammpunkt von Lösemitteln keine Grundlage zur Einschätzung des Explosionsrisikos. Bei derartigen Verfahren muss die Anwesenheit von Zündquellen sicher ausgeschlossen werden.
Mit Lösungsmitteln versetzte Betriebsstoffe
Gelangen lösemittelhaltige Stoffgemische in Betriebsstoffe, verändern sich deren Eigenschaften entsprechend. Ein Beispiel dafür sind Rückstände aus der Zwischenreinigung von Maschinenteilen, die sich im nächsten Arbeitsgang in Kühlschmiermitteln verteilen. Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe sind Mineralöle mit hohen Flammpunkten. Dieser Eigenschaft verdanken sie die Verwendungsmöglichkeiten in Werkzeugmaschinen. Eingetragene Lösungsmittel können zu einer deutlichen Flammpunkterniedrigung führen. Wird das bei der Organisation der Betriebsabläufe ignoriert, indem kaltgereinigten Teilen nicht genügend Zeit zum Ablüften eingeräumt wird, kann das böse Folgen nach sich ziehen.