Der Begriff Biozid setzt sich aus den Silben “Bio” für Leben und “zid” für Töten zusammen. Das ruft förmlich nach besonderer Sorgfalt im Umgang mit den Chemikalien, die Leben vernichten, um anderes Leben zu erhalten oder vor Schaden zu bewahren. Wann ist der Einsatz von Bioziden gerechtfertigt? Wie gelingt es, die Wirkung der Biozidprodukte auf den beabsichtigten Zweck zu begrenzen? Für Desinfektionsmittel in der Hygiene, die Biozide enthalten, ist die Rechtfertigung offensichtlich. Die Wirkung hängt außer von den Inhaltsstoffen vor allem von der korrekten Anwendung ab.
Angriffspunkte für die Wirkstoffe in Bioziden
Erscheinungsformen von Zielorganismen
Die zweckmäßige Strategie für den Einsatz von Bioziden orientiert sich an den Erscheinungsformen der jeweiligen Zielorganismen. Bei Desinfektionsmitteln sind das Krankheitserreger. Andere Biozide wirken gegen Algen, Schimmel oder Fäulnisbakterien. Die Bekämpfung von Insekten (z.B. Mücken, Motten, Läuse, Wanzen) mit Biozidprodukten bedarf einer sorgfältigen Abwägung zum Schutz von Nutzinsekten. Besondere Vorsicht ist auch geboten, wenn die Wirkstoffe Wirbeltiere (z.B. Ratten, Mäuse, Tauben) bekämpfen sollen.
Wirkungsweise von Bioziden
Lebende Organismen unterscheiden sich von toter Materie durch ihren Stoffwechsel. Wenn etwas Nahrung aufnimmt, diese in körpereigene Stoffe umwandelt und Abfallprodukte ausscheidet, dann lebt es. Die körpereigenen Stoffe führen zu Wachstum und Vermehrung. Dieser Prozess endet, wenn ein Biozid die Strukturen des Lebewesens zerstört oder seine Stoffwechselprozesse unterbindet.
Viele Mikroorganismen bilden Ruheformen aus, die als Sporen lange Zeit ohne Nahrung ausharren. Bei günstigen Umgebungsbedingungen läuft der Stoffwechsel an, die Sporen erwachen. Nur extreme äußere Einflüsse, wie sehr hohe Temperaturen, aggressive Chemikalien oder starke mechanische Kräfte, können diese Ruheformen vernichten.
Eine Sonderform der Materie sind Viren. Von Lebewesen unterscheiden sie sich dadurch, dass sie keinen eigenen Stoffwechsel haben. Von toter Materie unterscheiden sie sich dadurch, dass sie sich in fremden Wirtszellen vermehren können. Der Besitzer der Wirtszellen wehrt sich solange durch die Bildung von Antikörpern, bis er die Viren besiegt hat oder sein Stoffwechsel aufgibt. Biozide fangen die Viren auf dem Weg von einem Wirt zum nächsten ab.
Anforderungen an Biozide
Beim Einsatz von Bioziden stehen zwei Anforderungen im Mittelpunkt: Zum einen müssen Sie wirksam sein. Zum anderen muss die Wirkung ohne unzumutbare Belastungen für Menschen, Tiere und Umwelt eintreten. Chemikalien dürfen nur dann als Biozidprodukte auf dem Markt angeboten werden, wenn der Nachweis erbracht ist, dass sie beide Anforderungen erfüllen. Mit der Biozidzulassungsverordnung ((EU) Nr. 528/2012) wurde zu diesem Zweck ein anspruchsvolles Regelwerk geschaffen. Darin ist detailliert vorgeschrieben, wie Hersteller oder Händler die Wirksamkeit und die Auswirkungen darlegen müssen, um die Genehmigung für den Vertrieb zu erhalten.
Biozidwirkstoffe und Biozidprodukte
Die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 unterscheidet zwischen Biozidwirkstoffen und Biozidprodukten. Biozidwirkstoffe sind die Chemikalien, die die Schadorganismen abtöten. Bei Biozidprodukten handelt es sich um Stoffe, die auf dem Markt angeboten werden. Dabei kann es sich um reine Wirkstoffe oder um Gemische, die reine Wirkstoffe enthalten, handeln.
Ermittlung der Eigenschaften und Merkmale
Zur Beurteilung eines Biozids benötigt die zuständige Behörde konkrete Angaben zu den Eigenschaften und Merkmalen der Chemikalie, zu den Testverfahren, mit denen die Informationen ermittelt wurden, und zur Methode, die für die Anwendung des Biozids vorgesehen ist. Insbesondere sind Fragen zu klären
- zur Wirksamkeit gegen die Zielorganismen
- zur Wirkung auf Menschen und Tiere
- zum Verhalten in der Umwelt
- zu erforderlichen Arbeits- und Umweltschutzmaßnahmen
Einteilung von Biozidprodukten in Hauptgruppen
Die notwendigen und zulässigen Merkmale der Biozide sind von den speziellen Einsatzzwecken abhängig. Orientierung bietet dabei die Einteilung in Biozidproduktarten. Die Systematik umfasst vier Hauptgruppen:
- Hauptgruppe 1. Desinfektionsmittel zum Kampf gegen Krankheitserreger
- Hauptgruppe 2. Schutzmittel für Werkstoffe
- Hauptgruppe 3. Schädlingsbekämpfungsmittel zur Vermeidung der ungehemmten Ausbreitung bestimmter Tierarten
- Hauptgruppe 4. Sonstige Biozidprodukte, beispielsweise zum Schutz von Bauten im Wasser oder biologischen Präparaten
Einsatzgebiete von Desinfektionsmitteln
Desinfektionsmittel tragen in sehr unterschiedlichen Einsatzfeldern zur Hygiene bei. Entsprechend variieren die Eigenschaften der benötigten Chemikalien und die daraus resultierenden Risiken. Deshalb werden die Biozide der Hauptgruppe 1 bestimmten Produktarten zugeordnet.
- Die Produktart 1 umfasst die Mittel, die für die menschliche Hygiene bestimmt sind. Da sie unmittelbar mit der Haut in Kontakt kommen, müssen gesundheitsschädliche Nebenwirkungen ausgeschlossen werden. Die Produkte unterliegen außer den Bestimmungen der Biozidzulassungsverordnung auch den Arzneimittel- und Medizinproduktebestimmungen. Einen großen Anteil an dieser Produktart haben Handdesinfektionsmittel.
- Zur Produktart 2 gehören Desinfektionsmittel und Algenbekämpfungsmittel für die Behandlung von Oberflächen, Stoffen und Einrichtungen. Diese Chemikalien sind weder für die direkte Anwendung beim Menschen oder Tieren noch für Oberflächen, die mit Lebens- oder Futtermitteln in Kontakt kommen, vorgesehen. Eingesetzt werden sie zum Beispiel für die Desinfektion des Wassers in Schwimmbädern, der Luft in Klimaanlagen sowie von Wänden und Fußböden. Mittel zur Desinfektion von chemischen Toiletten, Abwasser oder Krankenhausabfall zählen ebenfalls zu dieser Produktart.
- Im Veterinärbereich finden Desinfektionsmittel der Produktgruppe 3 Anwendung. Desinfiziert werden mit diesen Mitteln die Haut bzw. die Schleimhäute von Tieren sowie Materialien oder Oberflächen, die zur Unterbringung und Beförderung von Tieren benötigt werden.
- Biozide, die im Lebens- und Futtermittelbereich zur Desinfektion von Geräten, Anlagen und anderen Oberflächen verwendet werden, sind der Produktart 4 zugeordnet. In diesen Bereich gehören auch die Desinfektionsmittel für Trinkwasser.
Anwendung von Desinfektionsmitteln
Die Wirkung von Desinfektionsmitteln hängt von der Konzentration der Wirkstoffe und von der Einwirkungszeit ab. Die beiden Faktoren bestimmen, wieviel Wirkstoff ein Schadorganismus aufnimmt. Um diesen sicher abzutöten, ist eine bestimmte Wirkstoffmenge erforderlich, die durch Testreihen ermittelt wird. Weitere Testreihen geben Aufschluss über die Risiken für Menschen, Tiere und Umwelt, die bei der Verwendung der Chemikalien auftreten.
Die Ergebnisse sind die Grundlage für die Gebrauchsanweisung des Desinfektionsmittels. Daraus kann der Anwender Informationen zu Methode, Häufigkeit und Dosierung der Anwendung sowie zu Maßnahmen für den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt entnehmen.
Handdesinfektionsmittel müssen beispielsweise gründlich auf allen Bereichen der Haut verteilt werden und mindestens 30 Sekunden einwirken. Der Wirkstoff in diesen Mitteln ist in der Regel ein Alkohol, der zu den brennbaren Flüssigkeiten zählt und mit der Luft eine explosionsfähige Atmosphäre bilden kann. Deshalb sind beim Umgang mit einem Handdesinfektionsmittel Zündquellen zu vermeiden.