« Wo die größten Schadpotenziale sind und wie Green Chemistry diese reduziert »
Die von der chemischen Industrie verursachte Umweltbelastung ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen. Zurückzuführen ist das vor allem auf klare Regeln für die Einstufung von bedenklichen chemischen Stoffen, die Festlegung von Grenzwerten in der Abluft und im Abwasser sowie verbesserte sicherheitstechnische Konzepte. Der Schwerpunkt liegt jetzt auf der Entwicklung chemischer Verfahren, die ressourceneffizient sind und ohne den Einsatz gefährlicher Stoffe funktionieren. Den Rahmen dafür bilden die Grundsätze der grünen Chemie, die auch immer stärkeren Eingang in die Oberflächentechnik finden. Doch was sind denn genau diese Umweltbelastungen in der Chemie, gegen die vorgegangen werden muss?
Potentielle Umweltbelastung in der Chemie
Die potentielle Umweltbelastung durch die Chemie geht von Stoffen mit gesundheitsgefährdenden oder umweltschädlichen Eigenschaften und von den Reaktionsbedingungen bei deren Herstellung aus. Den Trend zu mehr Nachhaltigkeit durch Verringerung des Verbrauchs von Energie und Rohstoffen teilt die chemische Industrie mit allen anderen Wirtschaftszweigen. Nachhaltige Chemie wird immer wichtiger.
Umweltbelastung durch chemische Stoffe
Die Erforschung und Systematisierung der direkten und indirekten Auswirkungen chemischer Stoffe auf Lebewesen ist die Grundlage für Maßnahmen zum Gesundheits- und Umweltschutz. Welche Gefahren von Stoffen ausgehen können und wie ein sicherer Umgang mit ihnen gewährleistet wird, ist Gegenstand der Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (EG) Nr. 1272/2008). Dort werden physikalische, gesundheitliche und umweltbezogene Gefahren beschrieben. Die Wirkungen hängen von den innewohnenden Stoffeigenschaften und von der äußeren Beschaffenheit (Feststoff, Flüssigkeit, Gas, Aerosol, Staub) ab.
Physikalische Gefahren
Physikalische Gefahren beziehen sich hauptsächlich auf die Reaktionsfähigkeit der Stoffe, die mit einem hohen Druck, einer hohen Temperatur und der daraus resultierenden Freisetzung schädlicher Substanzen einhergeht. Im Einzelnen betrifft das folgende Eigenschaften:
- explosionsfähig
- selbstentzündlich
- leichtentzündlich
- brandfördernd
- thermisch instabil (organische Peroxide)
- entwickelt entzündbare Gase bei Berührung mit Wasser
- korrosiv gegen Metalle
Gesundheitsgefahren
Gesundheitsgefahren ergeben sich durch das Vermögen der Stoffe, den menschlichen Organismus zu schädigen. Bei der Beschreibung spielt die Art und Weise, in der die Substanzen mit dem Körper in Berührung kommen, eine entscheidende Rolle. Die Wirkung auf Haut, Schleimhäute, Augen und innere Organe kann durch Berührung, Einatmen oder Verschlucken ausgelöst werden. Die Maßnahmen zum Schutz richten sich nach der Art der Aufnahme und nach den speziellen Eigenschaften:
- sensibilisierend
- reizend
- ätzend
- akut oder chronisch giftig
- keimzellschädigend
- krebserregend
- fruchtbarkeitsschädigend
Umweltgefahren
Bei der Beurteilung von Umweltgefahren werden die Anreicherung von Stoffen in Organismen (Bioakkumulierung) und die Verweildauer in der Umwelt (Persistenz) genauer untersucht. Die Verordnung geht befasst sich speziell mit gewässergefährdenden und die Ozonschicht schädigenden Stoffen.
Besonders Besorgnis erregende Stoffe
Während sich die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 mit der allgemeinen Einstufung von chemischen Stoffen beschäftigt, geht die REACH-Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe ((EG) Nr. 1907/2006) auf besonders Besorgnis erregende Stoffe ein. Dabei handelt es sich um krebserzeugende (cancerogen), erbgutverändernde (mutagen) und fruchtschädigende (reprotoxisch) Substanzen ein. Nach den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe werden diese Stoffe als CMR-Stoffe bezeichnet.
Eine besondere Umweltbelastung geht von CMR-Stoffen aus, wenn sie dauerhaft in der Umwelt verbleiben (Persistenz), sich in Lebewesen anreichern (Bioakkumulation) und außerdem giftig (Toxizität) sind. Aus diesen Anfangsbuchstaben setzt sich die Bezeichnung PBT-Stoffe zusammen. Eine noch stärker gesteigerte Umweltbelastung geht von vPvB-Stoffen aus, die sehr lange in der Umwelt verbleiben und sich sehr stark in Organismen anreichern (very persistent, very bioaccumulating). CMR-, PBT- und vBvP-Stoffe sollen in der Zukunft nicht mehr hergestellt und eingesetzt werden. Bis man vollständig auf sie verzichten kann, sind Zulassungsverfahren und Verwendungsbeschränkungen geregelt.
Umweltbelastung durch chemische Verfahren
Potentiell umweltgefährdend sind chemische Reaktionen, die bei sehr hohen Temperaturen und Drücken ablaufen oder solche, an denen gefährliche Stoffe beteiligt sind. Unter diesen Bedingungen besteht die Gefahr, dass Substanzen unbeabsichtigt freigesetzt werden. Außerdem wird für die Erzeugung hoher Drücke und Temperaturen sehr viel Energie verbraucht.
Konventionelle Verfahren bestehen häufig in einer Vielzahl von Prozessschritten. Dabei werden Zwischenprodukte erzeugt, die in Folgereaktionen weiterverarbeitet werden. Die Reaktionen verlaufen meistens unter Bildung von Abfallprodukten, die aufwändig vom Zielprodukt getrennt und aufbereitet werden müssen. Der Energie- und Ressourcenverbrauch für die Stofftrennung und die Abfallbehandlung stellt eine zusätzliche Umweltbelastung dar.
Reduzierung der Umweltbelastung durch grüne Chemie
Die grüne Chemie sucht nach Wegen, gefährliche Zwischenprodukte bei der Erzeugung von Chemikalien zu vermeiden, Ersatzstoffe für gefährliche Substanzen zu entwickeln und Verfahren mit geringem Energie- und Ressourcenverbrauch anzuwenden. Die Prozesse sollen auf diesem Weg umweltschonend gestaltet werden. Als Ergebnis der Überlegungen zur Nachhaltigkeit sind folgende Schwerpunkte festgestellt worden:
Vorrang der Abfallvermeidung vor der Abfallverwertung
Verbesserung der Atom-Ökonomie (Verhältnis des Anteils von chemischen Elementen im Endprodukt zum Anteil im Rohstoff)
- Vermeidung von gefährlichen Zwischenprodukten bei chemischen Reaktionen
- Anwendern ungefährliche Stoffe mit gleicher Wirksamkeit zur Verfügung stellen
- Einsatz gefährlicher Hilfsstoffe bei chemischen Reaktionen vermeiden
- Entwicklung von Verfahren, die bei Umgebungstemperatur und normalem Luftdruck ablaufen
- Nutzung nachwachsender Rohstoffe
- Entwicklung von Verfahren mit wenigen Prozessschritten (Vermeidung unnötiger Derivatisierung)
- Vorrang von katalytischen Reaktionen vor Reaktionen mit stöchiometrischem Stoffumsatz
- Einsatz biologisch abbaubarer Produkte
- Echtzeitanalyse zur sicheren Beherrschung der chemischen Reaktionen
- Vermeidung von Unfallrisiken
Einige Schwerpunkte ergeben Synergieeffekte oder bedingen einander. Beispielsweise resultieren aus dem Einsatz von katalytischen Reaktionen statt Reaktionen mit stöchiometrischem Stoffumsatz meistens auch eine verbesserte Atom-Ökonomie, die Vermeidung von Abfällen, Reaktionsverläufe bei niedrigeren Temperaturen und Drücken oder weniger Prozessschritte. Prozesse, die bei Umgebungstemperatur und normalem Luftdruck ablaufen, die Echtzeitanalyse und der Verzicht auf gefährliche Stoffe tragen zur Vermeidung von Unfallrisiken bei.
Bedeutung der grünen Chemie für die Oberflächentechnik
Für die Oberflächentechnik sind vor allem die Schwerpunkte der grünen Chemie von Bedeutung, die sich auf die Effizienz beim Einsatz von Rohstoffen und Energie und die Vermeidung gefährlicher Stoffe beziehen. Reinigungsverfahren und Beschichtungstechniken mit einem hohen Wirkungsgrad, die Rückgewinnung von Energie und Verbrauchsstoffen und der Verzicht auf leichtflüchtige brennbare Lösemittel wirken sich umweltschonend aus. Die ständige Prozessüberwachung und ein konsequenter Unfallschutz helfen, die Rohstoffe effizient zu nutzen und die unbeabsichtigte Freisetzung chemischer Stoffe zu vermeiden.
Die Oberflächentechnik und die chemische Industrie arbeiten bei der Gestaltung nachhaltiger Prozesse Hand in Hand. Umweltschonende Verfahren brauchen Prozesschemikalien, die sicher und wirksam sind.