« Einblicke in ein faszinierendes physikalisches Phänomen »
Die Oberflächenspannung von Wasser übertrifft die der meisten anderen Flüssigkeiten. Sie beeinflusst viele physikalische Eigenschaften von Wasser und spielt eine wichtige Rolle in unterschiedlichsten natürlichen und technischen Prozessen. Warum hat Wasser Oberflächenspannung, welche Bedeutung hat die Oberflächenspannung von Wasser und wie lässt sie sich ermitteln?
Wasser und Oberflächenspannung: Die Erklärung des Phänomens
Als Oberflächenspannung wird das aufgrund von Molekularkräften auftretende Bestreben von Flüssigkeiten bezeichnet, ihre Oberfläche kleinzuhalten. Die Tropfenbildung von Wasser ist diesem Effekt ebenso zu verdanken wie die Tatsache, dass Insekten auf der Wasseroberfläche laufen können oder eine Rasierklinge auf Wasser schwimmt, obwohl sie aus Metall besteht.
Im engeren Sinne ist nur dann von Oberflächenspannung die Rede, wenn eine Flüssigkeit an die eigene gesättigte Dampfphase grenzt. Ansonsten handelt es sich um Grenzflächenspannungen. Zurückführen lässt sich die Oberflächenspannung von Wasser darauf, dass die Moleküle an der Wasseroberfläche stärker aneinanderhaften als die Luftmoleküle darüber.
Wie entsteht Oberflächenspannung?
Wassermoleküle besitzen einen positiven und einen negativen Ladungsschwerpunkt. Die Elektronen werden vom Sauerstoffatom stärker angezogen als von den Wasserstoffatomen. Hieraus resultieren eine negative Teilladung am Sauerstoff und positive Teilladungen an den Wasserstoffatomen.
Liegen zwei Wassermoleküle nah beieinander, zieht die positive Teilladung des Wasserstoffatoms des einen Moleküls die negative Teilladung des Sauerstoffatoms des anderen Moleküls an und es entsteht eine sogenannte Wasserstoffbrückenbindung. Die dabei wirkenden Molekularkräfte führen dazu, dass an der Oberfläche befindliche Wassermoleküle einseitig nach innen gezogen werden, da die von den Luftmolekülen ausgeübten Anziehungskräfte verglichen damit sehr gering sind.
Da im Inneren einer Wassermenge jedes Molekül von zahlreichen weiteren Wassermolekülen umgeben ist, wirken die zwischen ihnen bestehenden Anziehungskräfte gleichmäßig nach allen Seiten. Dadurch heben sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig auf.
Im Grenzbereich zwischen Wasser und Luft fehlen die entsprechenden Anziehungskräfte nach oben hin, während nach unten hin Wassermoleküle vorhanden sind. Diese ziehen die an der Oberfläche des Wassers befindlichen Wassermoleküle an. Dadurch wirkt auf die Oberflächenmoleküle eine ins Innere der Flüssigkeit gerichtete Kraft. Die Summe dieser Kräfte macht sich als Oberflächenspannung bemerkbar.
Auswirkungen der Oberflächenspannung von Wasser
Neben der Tropfenbildung und der Fähigkeit, Insekten einen ausreichend festen Untergrund zu bieten, ist die Oberflächenspannung von Wasser an verschiedenen weiteren Effekten ersichtlich.
Kapillarwirkung
Kapillarwirkung beschreibt die Fähigkeit von Flüssigkeiten, entgegen der Schwerkraft in engen Spalten oder Röhren aufzusteigen. Das geschieht durch die Wechselwirkung von Kohäsion und Adhäsion im Wasser, wobei die Kohäsionskräfte zwischen den Flüssigkeitsmolekülen und die Adhäsionskräfte zwischen dem Wasser und der festen Oberfläche wirken. Für diesen Effekt der Oberflächenspannung können diese Beispiele zur Veranschaulichung dienen:
- Bäume transportieren mithilfe von Kohäsion und Adhäsion Wasser und Nährstoffe aus dem Boden bis hinauf in die höchsten Zweige. Im Fall des Küstenmammutbaums Hyperion, des offiziell höchsten Baums der Welt, sind das immerhin circa 116 Meter.
- In Öllampen sorgt die Kapillarwirkung dafür, dass das Öl gleichmäßig im Docht aufsteigt, um die Flamme kontinuierlich zu versorgen.
- Filterpapier dient in Laboren und in der Chemie dazu, Flüssigkeiten mithilfe der Kapillarwirkung zu trennen.
- In engen Glasröhren steigt Wasser aufgrund der stärkeren Adhäsionskräfte höher auf als in breiteren.
Seifenblasen
Seifenblasen zu erzeugen ist möglich, weil die Oberflächenspannung des Wassers ein elastisches Verhalten der Oberfläche bewirkt. Mit reinem Wasser Seifenblasen zu machen, ist jedoch schwierig, da die Spannung so hoch ist, dass die Blase sofort zerplatzt. Die Seifenwirkung auf die Oberflächenspannung von Wasser besteht darin, die kohäsiven Molekularkräfte zu verringern und dadurch die Elastizität und Dehnbarkeit der Wasseroberfläche zu erhöhen. Zugleich stabilisieren die Seifenmoleküle die dünne Wasserschicht und verlangsamen die Verdunstung.
Die Seifenwirkung auf die Oberflächenspannung von Wasser lässt sich über einen einfachen Versuch zeigen. Hierzu wird eine flache Schale mit Wasser gefüllt und eine gleichmäßige Schicht gemahlenen Pfeffers auf die Wasseroberfläche gestreut. Berührt anschließend ein in Flüssigseife getauchter Zahnstocher die Wasseroberfläche, wird der Pfeffer blitzartig an den Rand der Schale gezogen. Das liegt daran, dass die Oberflächenspannung bei diesem Experiment schlagartig sinkt. Netzmittel verringern die Oberflächenspannung und bewirken, dass Chemikalien zur Erzeugung von Konversionsschichten auch an schwer erreichbare Stellen gelangen.
Meniskus
Als Menisken im Sinne der Hydrostatik werden Krümmungen von Flüssigkeitsoberflächen in Behältern bezeichnet. Sie entstehen durch die Wechselwirkung von Kohäsion und Adhäsion im Wasser. Unterschieden werden konvexe und konkave Menisken. Konvexe Menisken bilden sich zum Beispiel in Quecksilberbarometern, konkave unter anderem bei Wasser in Glasbehältern.
Oberflächenspannung von Wasser messen: Diese Methoden gibt es
Die Oberflächenspannung von Wasser lässt sich sowohl über direkte als auch über indirekte Messverfahren ermitteln: Hier sind einige der gängigsten:
Berechnung über den Kapillareffekt
Diese Methode macht sich den Kapillareffekt, also die entgegengesetzt wirkenden Molekularkräfte, zunutze. Ein beidseitig offenes Glasröhrchen mit einem sehr dünnen Innendurchmesser wird mit einem Ende in die Flüssigkeit eingetaucht, deren Steighöhe dann gemessen wird. Sind der Kapillarradius und die Dichte der Flüssigkeit bekannt, kann die Oberflächenspannung direkt aus der Steighöhe abgeleitet werden.
In Kapillarröhren mit einem Innendurchmesser von 0,4 mm steigt Wasser in Höhen von bis zu 7 cm auf. Für exaktere Messungen eignet sich zum Beispiel ein Kathetometer, bei dem sich die Steighöhe auf 0,1 mm genau ablesen lässt. Die Fehlerquote liegt im unteren einstelligen Prozentbereich.
Bügelmethode nach Lénard
Bei diesem auch als Abreißmethode bekannten Verfahren wird ein Bügel mit einem sehr dünnen Draht (meist Platin) soweit in das Wasser getaucht, dass dieses ihn gerade so benetzt. Anschließend wird der Draht sehr langsam wieder herausgezogen, wobei er einen Flüssigkeitsfilm mit sich zieht. Die Zugkraft wird nach und nach über eine Präzisionsfederwaage erhöht.
Aus der Zugkraft, die zum Zeitpunkt des Abreißens des Films anliegt, den Abmessungen des Drahtes und der Dichte der Flüssigkeit lässt sich die Oberflächenspannung rechnerisch ermitteln. Ähnlich funktionieren die Ringmethode nach Du Noüy und die Plattenmethode nach Wilhelmy.
Pendant-Drop-Methode
Die Oberflächenspannung beeinflusst die Form, die ein hängender Tropfen annimmt. Für diese Messmethode wird ein Flüssigkeitstropfen an einer senkrecht stehenden Dosiernadel ausgebildet. Eine Kamera nimmt ein Bild des hängenden Tropfens auf. Dabei wird dieser durch eine Lichtquelle erhellt, um die Kontur deutlich sichtbar zu machen. Aus der Tropfenform lässt sich anschließend über die Young-Laplace-Gleichung die Oberflächenspannung berechnen.
Diese Methode eignet sich besonders gut für industrielle Anwendungen, beispielsweise in der Farben- und Lackindustrie oder bei der Entwicklung von Tensiden.