Im Jahr 1793 kam der Apotheker Carl Samuel Hermann auf die Idee, die Abfälle eines ortsansässigen Betriebes als Rohstoffquelle zu nutzen. Das Wort “Kreislaufwirtschaft” gab es damals noch nicht. Der Mann wollte einfach nur mit kostenlosen Ausgangsstoffen Gewinn erwirtschaften. Besonders nachhaltige Chemie hat er dabei zwar nicht betrieben, aber er hat gezeigt, dass Abfall Rohstoff sein kann. Wie sich die Idee weiterentwickelt hat und wie sich Kreislaufwirtschaft nachhaltiger gestalten lässt, erfahren Sie hier.
Wirtschaft ohne Abfälle
Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass aus allen Stoffen, die nicht (mehr) genutzt werden, neue Produkte entstehen. In der Landwirtschaft, der Metallurgie und weiten Teilen der chemischen Industrie ist das seit je her gängige Praxis. Die Landwirtschaft nutzt die natürlichen Kreisläufe zur Produktion neuer Nahrungsmittel. Die Metallurgie verwendet Altmetalle als kostengünstige Ergänzung zu den natürlich vorkommenden Erzen. In diesen Bereichen bringt die Nutzung dessen, was anderswo nicht (mehr) benötigt wird, wirtschaftlichen Gewinn. Viele Betriebe der Chemieindustrie, die anderen Industriezweigen Prozesschemikalien zu Verfügung stellen, nehmen verbrauchte Stoffe zurück und bereiten sie wieder auf. Diese Vorgehensweise hat sich zum Beispiel in der Oberflächentechnik etabliert.
Kluthes Tochterunternehmen REMATEC gewinnt unter anderem Wertstoffe aus Altlacken, Altfarben und Lackkoagulaten, Rohstoffe aus Wasserlack-Spülflüssigkeiten sowie organische Lösemittel zurück. Kluthe setzt diese wieder in der Produktion ein. Auf den meisten anderen Gebieten ist die Umwandlung von Rest- und Abfallstoffen in brauchbare Rohstoffe entweder sehr teuer oder es fehlen die erforderlichen Technologien. Solange die Herstellung von Produkten aus herkömmlichen Rohstoffen billiger ist, interessiert sich in vielen Bereichen der Industrie niemand ernsthaft für die Verwendung von Abfällen. Es ist absehbar, dass sich sowohl das Eine als auch das Andere ändert. Die Rohstoffe werden teurer, das Interesse wächst.
Rolle der Chemie in der Kreislaufwirtschaft
Zweck der Chemie ist die Stoffumwandlung. Sie wird zunehmend gefordert sein, Verfahren für die Abfallumwandlung zu entwickeln. Eine gewaltige Herausforderung für die chemische Industrie besteht darin, dass diese Prozesse nachhaltig sein sollen. Das heißt, sie müssen
- mit einem geringen Energieverbrauch auskommen
- wenige Hilfsstoffe verbrauchen
- einen (möglichst) vollständigen Stoffumsatz realisieren (Atomökonomie)
- (möglichst) nur weiterverwendbare Nebenprodukte hervorbringen
Ideal wäre, man könnte auf die Einschränkung (möglichst) verzichten. Das ist zurzeit allerdings noch unrealistisch.
Dass diese Herausforderung gewaltig ist, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass sich die meisten chemischen Produkte auch heute noch nur auf Umwegen herstellen lassen. Die Naturgesetze bestimmen den Verlauf chemischer Reaktionen. Wenn sich zwei Stoffe nicht freiwillig miteinander zum benötigten Stoff verbinden, werden Zwischenprodukte hergestellt, die sich – oft erst in mehreren Prozessschritten – nach und nach in das Endprodukt umwandeln lassen.
In der Regel entsteht bei jedem Schritt ein Stoffgemisch, aus dem die für die Folgereaktion benötigte chemische Verbindung abgetrennt werden muss. Dabei bleiben meistens Stoffe übrig, die eigentlich nicht gebraucht werden. Um ihre Aufgaben bei der Verbesserung der Nachhaltigkeit erfüllen zu können, muss die chemische Industrie zunächst in der eigenen Produktion eine Kreislaufwirtschaft einrichten und grüne Chemie betreiben.
Entwicklung chemischer Verfahren
Die konventionellen chemischen Verfahren beruhen auf den Ergebnissen unzähliger Versuche. Chemiker haben solange experimentiert bis der benötigte Stoff entstand. Parallel wurden in der Chemie Theorien entwickelt, mit denen sich die Beobachtungen aus den Experimenten erklären lassen. Dabei sind unterschiedliche Reaktionsmechanismen erkannt worden. Das führte dazu, dass sich Versuche immer besser planen und systematisch durchführen ließen. Mit der praktischen Umsetzung der Erkenntnisse entwickelte sich eine neue Ingenieurwissenschaft, die Verfahrenstechnik. Sie hält für die chemische Industrie eine Vielzahl von Systemen und Methoden zur Herstellung von Stoffen bereit.
Über 220 Einträge gehören inzwischen zu den “chemisch-technischen Verfahren” 20 davon gehören derweil bereits zu den “petrochemischen Verfahren”. Diese haben sich in der Praxis bewährt, sie liefern zuverlässig die benötigten Produkte – alles wäre gut, wären nicht bei vielen Prozessen Zwischenschritte mit Nebenprodukten nötig, die keiner haben will. Die Weiterentwicklung von Katalysatoren, die industrielle Biotechnologie und die Optimierung von Prozessen zur Stofftrennung versprechen Lösungen für dieses Problem, das der Kreislaufwirtschaft im Weg steht.
Einsatz von Katalysatoren
Die chemische Industrie setzt schon seit langem Katalysatoren ein, um Stoffumwandlungen überhaupt in Gang zu bringen oder die Reaktionsgeschwindigkeit zu optimieren. Katalysatoren sind chemische Stoffe, die den Ablauf einer Reaktion zwar beeinflussen, dabei aber nicht verbraucht werden.
Im ersten Fall bildet der Katalysator mit einem Reaktionspartner eine Zwischenverbindung, aus der er im Verlauf der Reaktion wieder freigesetzt wird. Im zweiten Fall lagern sich Teilchen aus dem Reaktionsgemisch an ihn an und sind dort bereit, mit den Partnern die erwünschte Verbindung einzugehen. In diesen Technologien liegt noch viel Optimierungspotenzial, das genutzt wird, die Kreislaufwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
Rolle der industriellen Biotechnologie in der Kreislaufwirtschaft
Die industrielle Biotechnologie nutzt den Stoffwechsel von Mikroorganismen für die Herstellung von Fein- und Grundchemikalien. Damit leistet sie einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der Nachhaltigkeit der Kreislaufwirtschaft. Bakterien, Pilze und Algen produzieren bei normalen Umgebungsbedingungen komplexe Verbindungen, für die die Chemie viele Prozessschritte, Hilfsstoffe und ein hohes Maß an Energie einsetzen müsste. Die Gentechnik ermöglicht es, Mikroorganismen so zu manipulieren, dass sie ganz neue Stoffwechselprodukte hervorbringen.
Bekannt ist die Gewinnung von Alkohol und Essigsäure durch Gärungsprozesse. Aber auch andere Stoffe, wie zum Beispiel Bernsteinsäure, Aminosäuren, Vitamine und Enzyme oder Kunststoffe lassen sich auf diesem Weg nachhaltig herstellen. Die Kleinstlebewesen ernähren sich von nachwachsenden Rohstoffen, oft auch von Abfallprodukten aus der Landwirtschaft. Dadurch lassen sich fossile Rohstoffe einsparen. Bei den biotechnischen Verfahren entstehen deutlich weniger und vor allem ungefährlichere Abfallstoffe, als in der konventionellen chemischen Industrie.
Optimierung von Verfahren zur Stofftrennung
Abfälle sind häufig Stoffgemische, die sich schwer trennen lassen. Dieses Problem ist zum Beispiel aus dem Recycling von Verpackungsabfällen hinreichend bekannt. In der Chemie fallen manche Abfälle nur deshalb an, weil sich die vermischten Bestandteile nicht vollständig oder nur mit sehr preisintensiven Verfahren einzeln gewinnen lassen. Die verfahrenstechnische Optimierung der Stofftrennung ist eine Voraussetzung dafür, die Kreislaufwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.